Tag der Pressefreiheit

Worüber in Deutschland reden am Vorabend des Tags der Pressefreiheit? Wenn der Pressesprecher der Kanzlerin an der Hauptstadtpresse vorbei direkt zum Bürger twittert und nur noch zu melden bleibt, dass er sich — peinlich, peinlich — vertippt hat (Obama statt Osama), anstatt darüber zu reflektieren, was es denn zu bedeuten hat, wenn Merkel sich erfreut erleichtert zeigt, dass letzterer „entsorgt” wurde. Wo liegt die spezielle Schutzbedürftigkeit einer Presse, deren Publikum sich längst entmündelt hat und spontan affirmativ seine „gefällt mir”-Klicks verteilt, während eben diese Presse sich selbst an Klicks misst, die sich scheinbar nicht in klingende Münze verwandeln lassen?

Einen erweiterten Blick auf bürgerliche Freiheitsrechte, die sich zwischen der Freiheit der Meinung und der Kunst bewegen, warfen Diskussionsteilnehmer am Montag Abend im Solinger Kunstmuseum:

„Warum mache ich denen da oben Angst?“

„Anstößig: Kunst und Medien“ — so lautete die Überschrift der Podiumsdiskussion, zu der die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft anlässlich des Tags der Pressefreiheit ins „Solinger Zentrum für verfolgte Künste“ geladen hatte. Die Frage nach den Steinen wie den Anstoßenden und Gestoßenen wurde von den Gästen turbulent diskutiert und von Helga Kirchner (WDR) als „Pfauenbändigerin“ unter sechs Herren souverän moderiert.

Nachdem der Aktionskünstler Wolfram Kastner zunächst von absurden Reflexen des Ordnungsstaates auf seine unliebsamen öffentlichen Auftritte berichtet hatte, rieben sich Kasper König (Direktor Museum Ludwig, Köln) und Bazon Brock (Professor für Kulturvermittlung) an der Komplexität der Verhältnisse. Während König den Künstler mit seinen Mitteln in die Pflicht nehmen wollte, über das Banale hinaus zu weisen, blaffte Brock: „Alles Bluff! Künstler haben im Vergleich zum einfachen Bürger wenig zu erleiden.“

So berichtete auch der deutsch-türkische Schriftsteller Dogan Akhanli, dass er im letzten Jahr nicht wegen seiner literarischen Tätigkeit sondern als Menschenrechtler in der Türkei verhaftet worden sei. „Natürlich war ich als Künstler im Gegensatz zu anderen Inhaftierten privilegiert. Aber ich kann nicht einsehen, wieso ich denen ‚da oben‘ überhaupt Angst mache.“ Nicht der Einzelne, sondern die kritische Masse sei für Machtstrukturen bedrohlich, konstatierte Medienrechtler Udo Branahl. „Wahrscheinlich sitzt hier ohnehin die falsche Generation auf dem Podium“, vermutete Kasper König im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen in Ägypten und Tunesien.

Das Thema Pressefreiheit wurde von Musiker Ulrich Klan aus einem ganz anderen Blickwinkel aufgegriffen: „Da gibt es eine große Ignoranz der Medien gegenüber unbequemen Formaten.“ Das aufmerksame Publikum im voll besetzten Meistermannsaal machte sich am Ende mit einem so vielseitigen, wie streitbaren Bündel an Perspektiven auf den Heimweg.

Warum mache ich denen da oben Angst?, Solinger Tageblatt vom 02.05.2011

Was bleibt: die von König geforderte Besinnung des Künstlers auf die Kunst und ihre Möglichkeiten, statt sich in „Schmonzetten“ zu verzetteln, steht nicht im Widerspruch zu Bazon Brocks Fokussierung auf den viel radikaler betroffenen einfachen Bürger — solange man die Eitelkeit des Verfolgten außen vor lässt und mehr Beuys annimmt. Wo Brock eine systematisch-repressive Struktur auf oberer administrativer Eben ausmacht, verkennt er den entsprechenden Gegenpart im Bürgerlichen, der passive Legitimation verleiht. Seine These, dass jede Kultur ohnmächtig sei gegenüber der globalen Klima-, Atom- und Wirtschaftskrise und einen neuen Bürger erfordere, der sich global versteht, verkehrt dagegen konsequent das Freiheitsrecht auch in eine Freiheitspflicht des Einzelnen — trotz des Eingeständnisses seiner Machtlosigkeit: „freiheit ist, sich den bedingungen des lebens anzupassen“, so ein Brock-Zitat.

Allzu leicht werden wohl oft Bedingungen angenommen, die keine sind, während die tatsächlichen Bedingungen in den schmerzvermeidenden blinden Fleck rücken. Den Rentner zum Ideal des unabhängigen Geistes zu erklären muss jedoch Widerspruch hervorrufen. Akhanli, als einziger Anwesender mit der Erfahrung einer existenziellen Bedrohung ausgestattet, stellte Deutschland ein unbedingt positives Zeugnis aus: „Sie haben sich der Geschichte gestellt und gelernt.“ Trotz Helga Kirchners expliziter Nachfrage nach der aktuellen Bedeutung der Pressefreiheit klangen die Statements dazu höchstens indirekt durch — zum einen in Klans Äußerungen über die mediale Ignoranz der Freiheit zugunsten der Quote, zum anderen in Branahls Einschätzung, dass ein guter Teil der Kommunikation und damit gesellschaftlichen Dynamik an den Massenmedien vorbei über andere Kanäle laufe. Wo Öffentlichkeit zum Normalzustand wird, aber Aufmerksamkeit kaum mehr kontrollierbar ist, wird sich Pressefreiheit stärker denn je in Eigensinn beweisen müssen.

Declaration of Windhoek, Grundlage des „World Press Freedom Day“